Buchvorstellung

Anna Mitgutsch
Die Annäherung

Luchterhand 2016

Anna Mitgutschs neuer Roman handelt von einer schwierigen Vater-Tochter-Beziehung, von Entfremdung und lebenslanger Liebe, vielmehr von der Sehnsucht nach einer Liebe, die sich nie erfüllt. Hauptpersonen sind Theo, 96, der nach einem Schlaganfall pflegebedürftig ist, und seine auch schon über 60-jährige Tochter Frieda. Theo, knapp nach dem Ersten Weltkrieg geboren, stammt aus einer kinderreichen Familie, die von Kargheit und Entbehrung geprägt ist. Er hat früh gelernt, das Leben so zu nehmen, wie es für ihn ist. Nach einer schwierigen Ehe und dem frühen Tod seiner ersten Frau Wilma, Friedas Mutter, führt er ein dem Anschein nach glückliches Leben mit Berta, die allerdings die Fäden in der Hand hat, was Theo nicht zu stören scheint. Nur Frieda passt nicht mehr in die Familie. Mit 18 muss sie das Haus verlassen und der wenige Kontakt zwischen Vater und Tochter in den folgenden 40 Jahren muss meistens heimIich und ohne Bertas Wissen stattfinden. Ein Gefühl des Zu-kurz-gekommen-Seins bestimmt die Beziehung. Verstärkt wird die Entfremdung durch Friedas Besessenheit, mehr über die Kriegsvergangenheit des Vaters zu erfahren, als dieser je bereit war, preiszugeben. “Über die wichtigen Dinge wird nie gesprochen." Erst als Theo pflegebedürftig wird und auch Berta den neuen Anforderungen nicht mehr gewachsen ist, ist Friedas Hilfe wieder gefragt. Und hier kommt noch eine Frau ins Spiel, die ukrainische Pflegerin Ludmila, die die Familienkonstellation ein weiteres Mal verändert, indem sie sich - aus Friedas Sicht - als die bessere Tochter erweist und für Berta abermals als Konkurrentin.
Anna Mitgutsch erzählt die Geschichte, die in den letzten 15 Lebensmonaten Theos spielt, in Rückblenden und aus zwei Perspektiven. Einmal aus der Sicht der Tochter, einmal aus der Sicht eines auktorialen (aus einer übergeordneten Perspektive sprechenden) Erzählers, in der der Autorin eigenen, ruhigen, klaren, genauen und schönen Sprache.
Das - und wie es ihr gelingt, ihre Figuren in all ihren menschlichen Eigenheiten und Widersprüchen differenziert und liebevoll zu zeichnen, macht den Roman zu einem ganz und gar herausragenden. (Maria Fellinger-Hauer in KIZ, 7. April 2016)

02.05.2016